Sofa-Tausch mit Gastgeschenk: Das Fremde reinlassen!

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Katharina findet die positive Nachricht:

Köln, Barbarossaplatz. Ich stehe vor der Eingangstür am Bauhaus und versuche in all den fremden Gesichtern, die vorbeieilen, eins zu finden, das ich mal auf einem Photo gesehen habe. Ein finnischer Student mit blondem Haar und Brille, wahrscheinlich mit größerem Rucksack. Da hab ich ihn auch schon entdeckt! Aber wer ist der Typ neben ihm? Er kommt mit dem Mann, der ihn per Anhalter aus den Niederlanden mitgenommen hat und dieser will ein paar Wörtchen mit mir wechseln: „Da komm ich nicht drauf klar! Du, Mädel, lässt einen Kerl bei dir übernachten, den du noch nie gesehen hast? Warum?“ Warum nicht? Der Kerl, der mich fragt, ist Journalist und will eine Story mit uns machen über Couchsurfing. Zwei Tage später treffen wir ihn zum Interview. So merkwürdig finde ich die Geschichte nicht. Aber ich sehe ein, dass das geniale Projekt missioniert werden muss!

Der Finne hat mir vor ein paar Tagen auf www.couchsurfing.com geschrieben, dass er eine Bleibe in Köln sucht und ich hatte halt Zeit. Das Profil sah nett aus, warum also nicht den ersten Versuch wagen? Und nun gehen wir zwei in meine Wohnung, unterhalten uns über dies und das, die Fahrt, das Studium, die Familie und so. Ich zeig ihm die WG und das Bett, in dem er schlafen wird und koche uns was. Dann gehen wir in die Stadt, ich zeig ihm alles, was ich wichtig und interessant finde. Wir verstehen uns prächtig und meine Freunde begrüßen den Exoten abends herzlich auf einer Party. Ich muss am nächsten Tag schon um 6 Uhr weg. Der Couchsurfer schläft noch, ich verlasse das Haus, werde ihn aber zum Interview mit dem Reporter wiedersehen. Später kommen mir Zweifel. Wird mein Notebook noch auf meinem Schreibtisch stehen? Meine Kamera? Ich kenne den Typen doch gar nicht!

Als ich am nächsten Tag in mein Zimmer zurückkomme, steht alles dort, wo es sein sollte, das Bett ist gemacht und wir treffen uns wie verabredet. Alle Befürchtungen waren umsonst.

Was folgt sind zwei Franzosen, ein Belgier, eine US-Amerikanerin, ein Ungar, eine Australierin usw. Ich fange an, das Prinzip zu lieben. Jeder Gast ist so anders und so respektvoll. Ihre Profile sind realistisch, die Referenzen gut, das Verifizierungssystem sorgt für ein sicheres Gefühl, das macht mich so froh an einem solchen Austausch teilzuhaben. Manche lassen Musik da, andere Rezepte, einen Wein oder einfach lustige Geschichten.

Dann fahr ich selbst. Innerhalb von sieben Wochen geht es zu 14 Couchsurfern. Und ich merke, warum alles immer so rund gelaufen ist bei mir zu Hause. Die unendliche Dankbarkeit dafür, dass ich bei diesen Fremden eben nicht als Fremder sondern als ihr Gast empfangen werde, verwandelt sich in tiefen Respekt. Nicht im Traum könnte mir einfallen, etwas Unangebrachtes zu sagen oder zu tun. Ich bleibe immer ein bis vier Nächte. Ich lerne Menschen und Lebensumstände kennen, die ich so nie getroffen habe. Ich genieße unglaubliche Großzügigkeit, die mir schon fast zu viel wird! Womit habe ich so viel Gutes verdient? „Nein, ich bezahle, du bist der Gast! Wenn ich mal zu dir nach Köln komme, dann bin ich dein Gast, dann lädst du mich auf einen Kaffee ein, aber jetzt ist es eben so!“ Ohje, so viel Gutes! Naja, auch ich hab schon Bier in Köln bezahlt und Essen gekocht. Was für eine merkwürdige Form von Geben und Nehmen! Eine Nacht schlafe ich in einer Jugendherberge in Riga. Die Franzosen, die ich dort treffe, sind erstaunt über das, was ich mit meiner Gastgeberin der vorherigen Nacht alles in der Stadt gesehen hab, die Chinesen liegen auf ihren Betten und wälzen die Reiseführer und die Engländer sind die ganze Nacht feiern. Dieser Ort könnte auch San Francisco oder Reykjavík sein. Ich bin froh, dass es nur eine Nacht ist, weil ich mich der Stadt so fern fühle. So sind es doch die Einwohner erst, die eine Stadt beseelen und zu einem Original machen.

Da wartet mein Gastgeber 40 Minuten in Krakau auf meinen verspäteten Bus und teilt später seine 10qm nicht nur mit seinem regulären Mitbewohner, sondern auch mit mir. Ich genieße kompletten Familienanschluss in Danzig, die Mama kocht jeden Tag ein echtes Festmahl vor lauter Freude (unterhalten können wir uns aber nur über die dolmetschenden Töchter). Bekomme drei Tage lang das volle Kulturprogramm in Vilnius. Trampe mit der Mitbewohnerin meiner Gastgeberin in Riga in irgendein lettisches Idyll, wir machen Lagerfeuer und schlafen unter Apfelbäumen. Wohne fünf Tage in einem wunderschönen, heruntergekommenen Haus ohne warmes Wasser in Tallinn (wenn mich meine Gastgeberin gefragt hätte, ob ich nicht bleiben möchte, hätte ich vielleicht mal was Verrücktes gewagt). In Finnland wird in den Schären gegrillt und gebadet. Ruhige Abende an der Küste von Gotland in einem mittelalterlich anmutenden Altbau in der Astrid-Lindgren-Szenerie, gewürzt mit ganz starkem Hippie-Touch. In das Leben am ökonomischen Limit blicken in einer der teuersten Städte der Welt (Oslo) bei zwei bewundernswerten ukrainischen Kämpfernaturen. Eine Einladung auf den Archipel vor Göteborg. Entspanntes Kochen, Kino und Christianiabesuche in Kopenhagen.

Einer der Höhepunkte war das Wiedersehen mit meinem ersten Gast, dem Finnen in Joensuu. Kanu fahren durch die Seenlandschaft, Grillen, Rad fahren.

Ich hab danach noch einige Couchsurfer zu Besuch gehabt und andere Couches gesurft, wurde nie ent-/getäuscht und erhalte mir dadurch meinen Glauben an das Gute im Menschen. Das Fremde macht keine Angst, sondern ist Potential, schließlich sind da draußen fabelhafte Menschen, die niemandem etwas Böses wollen, auch wenn man vielleicht einen anderen Eindruck gewinnt, sobald man die Zeitung aufschlägt. Es gibt doch kaum etwas Befreienderes, als mal die Blickweise eines Menschen anzunehmen, der dem gewohnten Umfeld so fremd ist.

Mir zumindest wurden erst mit meinen Couchsurfern einige Absurditäten meines Alltags bewusst. Dann steht da die Argentinierin in der Tür und fragt: „Warum ist das so?“ Und nach zehn Erklärungsanläufen weiß ich, dass ich zu wenig über die Dinge nachdenke, die sich in meiner Umgebung abspielen und die ich als gegeben betrachtet hatte. Ich brauche die Fremdheit um das Vertraute neu zu sehen.

Quelle: Katharinas Weblog bei Utopia.de

Linktipp: www.couchsurfing.com

5 Gedanken zu „Sofa-Tausch mit Gastgeschenk: Das Fremde reinlassen!

  1. Schöner positiver Erfahrungsbericht. Ich kannte couchsurfing bis heute nicht. Aber erinnert mich stark an die ebenso tolle Sache der Mitfahrgelegenheiten. Nur dass es noch sozialer, intimer und vor allem kostenloser ist. Super Sache!!! Danke!

  2. ein schöner Satz
    „ich brauche die Fremdheit
    um das Vertraute neu zu sehen“

    ein schöner Einblick
    in die Möglichkeit
    andere Kulturkreise kennenzulernen,
    Menschen zu begegnen

    danke Katharina,
    dein Beitrag hat mich tief berührt
    liebe Grüße Barbara

  3. Hallo Barbara,

    ich als aktiver Host wollte dich dann einfach mal bestätigen.
    Auch ich habe nie Probleme gehabt und ich glaube fest daran das Couchsurfing wirklich etwas tolles ist.

    Grüße
    Thomas

  4. Das ist lustig, ich habe erst vor einigen Wochen vom Couchsurfing gehört und lese jetzt hier diesen Bericht. Ich habe nicht geglaubt das soetwas problemlos funktionieren kann. Ich finde es gut, denke aber da gehört schon ein wenig Mut zu, zumindest am Anfang sich zu überwinden an das Gute in den Menschen zu glauben.
    Guter Bericht!

  5. Pingback: Sofatausch – die Welt ins Haus holen | Grünschnabel

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